Achtung Hochspannung – Lesegefahr!
Zu Rainer Popps „Plötzlich kehrt Stille ein“
Nun hat er wieder zugeschlagen, der Schreiber, Dichter und Maler aus Köln. Autor von Romanen wie „Die Tage und die Ewigkeit“, „Schreie aus seinem Mund“ und „Bei
lebendigem Fleisch“, alle mit einer Durchschnittslänge von 500 Seiten. Man sieht es den gut gedruckten Taschenbüchern nicht an, aber zu Zeiten von Johannes Mario Simmel wären es schöne, bunt
gestaltete Bände gewesen, Schmuckstücke jedes bürgerlichen Bücherregals.
Der Autor ist Jahrgang 1946. Er müsste altersweise sein. Davon merkt man nichts. Sein neuester Roman kommt daher wie ein Weltenbrand; er sengt alles weg. Diesen prophetischen Zorn kenne ich aus
seinen Bildern, die wie auch hier die Buchumschläge zieren. Da dürstet einer nach Gerechtigkeit und erzürnt sich an der Falschheit der Welt. Ein bisschen wie Goethes Werther, aber der starb ja
jung.
Wahrscheinlich ging es schon in den anderen Romanen nicht anders her, mit Feuer, Flamme und Glut. Bisher konnte ich immer vermeiden, sie zu lesen. Diesmal aber nicht. Da gibt es langjährige
Verbindungen zu dem Autor, die verpflichten. Diesmal hatte ich keinen Grund, seine Bitte abzuschlagen. Seinen tatsachengestützten Politkrimi fand ich sehr gut. Doch ich fürchtete, diese Intensität
nicht ertragen zu können, wenn sie nicht durch ein Gerüst von Fakten gehegt wird. Meine Befürchtung hat sich bestätigt.
Heute früh begann ich die Lektüre – ich unternehme gerade eine längere Bahnreise und sitze noch im Zug. Durch den Roman bin ich schon durch. Ein solches Leseerlebnis hatte ich schon lange nicht
mehr.
Darauf bin ich gar nicht mal stolz. In diesem Buch wird gefickt und gevögelt wie zu den besten Zeiten von Günter Amendt und Zweitausendeins. Einige der Hardcore-Konstellationen sind ziemlich
überdreht oder – schlimmer - stimmen zwiespältig: Kann man so was heute noch schreiben? Als kultivierten Leser ist man beunruhigt, wie sehr einen die Stellen, wie Reich-Ranicki sie nannte, antörnen.
Ist das schon Altersgeilheit?
Fleischlichkeit ist die Essenz des Stils, auch wenn es um anderes geht. Borchardt und Wedekind können es nicht besser. Anachronistisch ist auch das Dekor. Die Charaktere heißen Ruben Door, Hubertus
Holl oder Johnny Monsun. Die zwei parallel verlaufenden Lebensbahnen führen uns ins Reihenhaus von Walter Mattee, der tagsüber im 7,5-Tonner Kolonialwaren ausfährt. Nachts schnarcht er selig im
Ehebett, während Mutter und Töchter vor der Schlafzimmertür von Gastkind Johnny Schlange stehen, er ist halt ein richtiger Adonis. In der Villa des wohlgeborenen Helden sind die Eltern kalt, es wird
mit Fürst Pückler gefrühstückt. Ein Hauch von Derrick schwebt über dem Ganzen, man sieht die Handlung wortwörtlich als Film, vielleicht demnächst als Miniserie bei Netflix mit Altersbeschränkung. Ab
60.
In der zweiten Hälfte des Romans geht es mehr um Schicksal als um Sex. Man erkennt allmählich, wie kunstvoll der Roman konstruiert ist, Homer hätte sein Vergnügen daran. Über gelegentliche
Ungereimtheiten schaut man gerne hinweg, denn das Drängende schwillt stetig an. Setzt dieser Roman ein Fanal? Leider werden wir es erst später erfahren. Denn dieses Werk ist nur Band 1. Es kommt also
zumindest ein zweiter. Wie die Spannungskurve wohl verläuft, wir dürfen gespannt sein. Dem Autor ein langes Leben.
Vielleicht werde ich in der Wartezeit doch noch seine anderen Romane lesen. Mir schwant, der Autor hat ein Lebensthema, das sich erst aus der Gesamtheit seines Werkes erschließt. In diesem Roman
liest Ruben seinem Kindermädchen aus einem früheren Roman von Popp vor. Eitelkeit oder Fingerzeig? „Muss man den kennen?“, fragt das Kindermädchen. Ich meine immer mehr: ja.
Dr. Bertold Bär-Bouyssière, Rechtsanwalt und Autor, Brüssel
Rainer Popp hat wieder ein Buch veröffentlicht. Wie jedes Mal ist dies für Eingeweihte ein Ereignis, auf das sie warten. Es ist immer eine intensive Begegnung, und intensiv ist auch der Autor selbst.
Zunächst einmal sieht er wirklich aus wie auf den allgegenwärtigen Fotos. Wer ihn je getroffen hat, der vergisst dieses Gesicht nicht – streng, versteinert, prophetisch – man spürt im Innern heiße Flammen lodern. Ein bewegtes Leben hat er geführt, und es geht natürlich noch weiter, mit einer hohen Dichte an herausragenden Leistungen und Erfolgen in den verschiedensten Berufssparten, aber sicher auch mit ein paar von jenen dunklen Momenten, die nur ganz wenigen in einem langen und reichen Arbeits- und Künstlerleben erspart bleiben. Ein Mensch eben. Geboren ein Jahr nach Kriegsende in Ostdeutschland, floh die Familie schon bald nach Westdeutschland; vielleicht war die im Osten drohende politische Verfolgung des Vaters der Auslöser jenes kompromisslosen Verlangens nach Wahrheit, das das lebenslange Schaffen von Rainer Popp wie ein roter Faden durchzieht. Mit fünfzehn begann er literarisch zu gestalten. Das merkt man allen seinen Büchern an – hier schreibt einer, der auch schreiben kann.
Neben seiner langjährigen Tätigkeit als wahrheitssuchender Journalist hat Rainer Popp eine ganze Reihe von Romanen geschrieben. Soweit ich sie kenne, sind sie alle zornig, wuchtig, existentiell. Da geht es ans Eingemachte und das, was den Menschen im Innersten umtreibt. Manchmal sind sie schwer erträglich. Intensiv eben. Neben Gedichten schafft er auch Bilder – vielleicht ist es in der Malerei, wo diese Dampfmaschine von einem Schreiber am ehesten zu sich selbst und zu innerer Ruhe kommt. In den Romanen jedenfalls nicht. Da droht der Dampfkessel stets vor Überdruck zu platzen.
Wie schreibt er denn eigentlich? Nicht wie Hesse (der ja auch malte), und auch nicht wie Hoffmannsthal. Seine Titel haben etwas von Simmel, der Inhalt erinnert mehr an Borchart. Auch der wusste elitären Kunstanspruch und unbedingten Willen zur Gestaltung mit einer guten Portion Deftigkeit zu verbinden. Die erotischen Stellen in Popps Büchern sind vielleicht etwas „alte Schule“, sie haben es aber auch heute noch in sich.
Nun zum jüngst erschienen Roman, „Nach Feuer schmeckt die Nacht“. Ein flammender Titel für einen brennenden Inhalt. Es ist – ist es das? – ein Schlüsselroman, der gewisse Zusammenhänge zwischen Vorgängen betrifft, die man so aus der Medienberichterstattung nicht kennt. Allerdings kann man die möglichen Personen, die von den Romanfiguren möglicherweise repräsentiert werden, wenn es denn so gemeint sein sollte, relativ leicht zuordnen. Da ist ein grüner Bundesminister namens Marc Nenndorf. Dieser hat seine wilde Jugendzeit hinter sich gelassen und in der Politik Karriere gemacht. Anders als sein Mitstreiter aus frühen Tagen, Klaus-Joachim Gerbert, der immer noch im Knast sitzt und hofft, dass gewisse Sachen nicht rauskommen. Dritter im Bunde ist der Europa-Abgeordnete Klier-Breuer. Er ist eher eine Randfigur im Romangeschehen.
Es soll nicht allzu viel verraten werden, denn das Buch soll ja möglichst viele Leser in seinen Bann ziehen – wer es in die Hand nimmt, kommt garantiert bis zum Ende nicht aus dem Staunen heraus. Anders als die übrigen Romane von Popp ist dieser nicht nur ein literarisches Ereignis. Er hat auch politische Brisanz und ist – möglicherweise – strafrechtlich relevant. Jedenfalls wenn es wirklich war, wie in dem Roman kunstvoll beschrieben. Aber darüber muss sich jeder sein eigenes Urteil bilden, die Leseratte wie der Staatsanwalt.
Vielleicht wird Rainer Popp auch diesmal nicht den Büchner-Preis bekommen. Aber warum eigentlich nicht? So gut wie Walser (Martin) schreibt er allemal, nur spannender. Er ist Wahrheitssucher, nicht Vernebler. Der Leser kann sich mindestens auf eine literarische Achterbahnfahrt erster Güte einstellen. Die Investition in den Erwerb des Buches wird er nicht bereuen. Man kann dem Buch nur weite Verbreitung wünschen.
Magdeburg, im Mai 2022
Hanno Müller-Lüdenscheidt (auch ein Pseudonym)
Rainer Popps neuer Polit-Roman »Nach Feuer schmeckt die Nacht«
Von Jacky Dreksler*
Rainer Popp schreibt wie Lang Lang Beethovens »Appassionata« spielt: expressionistisch und dynamisch in den leidenschaftlichen Passagen. Expressiv in den leise reflektierenden Zeilen, dies allerdings virtuos versteckt im Subtext.
Und Subtext gibt es reichlich in Popps neuestem Werk. Es besteht eigentlich vornehmlich aus Subtext. Der Klappentext sagt, es ginge um die kriminellen Verstrickungen von demokratisch legitimierter Staatsmacht. Richtig. Was aber nirgendwo steht: dargestellt wird das am Beispiel eines Mannes, der einem wirklichen Politiker aufs Haar gleicht: Ex-Außenminister und Vizekanzler (1998 bis 2005) Joschka Fischer.
Es ist die Story eines politischen Chamäleons, das seine eigene Wandlungsfähigkeit gern selbstverliebt in einem Spiegelkabinett von alten Gefährten, neuen Feinden und begeisterten Fans im Volk bewundert: einen Aufstieg vom Molotowcocktail schwingenden Studentenrevolutionär zum staatstragenden Champagnerpolitiker. Vom Hilfsarbeiter in die politische Chefetage – wie hat er das geschafft?
Mit dem verspielten Charme der 68er-Aura. Und mit wacher Intelligenz. Und mit einer rhetorischen Begabung, die Bettina Röhl, die Tochter der Terroristin Ulrike Meinhoff, stöhnen ließ, sie ertrage die gepflegte linke Schönrednerei nicht, in der zwar grundsätzlich Fehler von damals eingeräumt, aber die einzelnen Gewalttaten möglichst dem Vergessen anheimgegeben werden.
Aber vor allem haben der echte Fischer und Popps komplexer Protagonist es mit einem geschafft: mit waffenscheinpflichtigem Ehrgeiz.
Popp beginnt mit einem kraftvollen Akkord: »Die Angst war es, die ihn gebissen hatte – ins Gesicht, in den Bauch, zwischen die Augen, mitten ins Herz. Es war die Angst, die ihn schüttelte hin und her, wie es ein Wolf auf Beutejagd macht mit einem zuckenden Hasen. Es war die Angst davor, dass in letzter Minute doch noch alles herauskam, wofür er sich schuldig fühlte seit mehr als zwei Jahrzehnten.«
Wir lernen den fünfzigjährigen Marc Nenndorf kurz vor seinem größten Triumph kennen. Er kleidet sich standesgemäß: »Der fast schwarze Anzug spannte ihm wie eine Wurstpelle um den aufgedunsenen Leib.« Draußen wartet sein alter Kumpel, heute sein Fahrer, mit der Limousine. Wenig später wird er im Bundestag die Schwurhand an die Hosennaht legen und sagen: »So wahr mir Gott helfe«.
Geschafft! Seine Anhänger jubeln, seine Feinde knirschen mit den Zähnen.
Drei Autostunden entfernt sitzt ein weiterer alter Weggefährte hinter Gittern. Er verfolgt die Vereidigung am Bildschirm, und fragt sich, wie es geschehen konnte, dass er nach Auffassung des Haftrichters als Terrorist gilt und an drei Morden beteiligt sein soll. Während sein Kumpel als Popstar und politischer Heilsbringer gefeiert wird und in höchste Staatsämter aufsteigt. Sein alter Freund, mit dem zusammen er Häuser besetzt, Frauen gevögelt und Polizisten verprügelt hat.
Wie der wandlungsfähige Held in diesem Polit-Roman graduell seine Selbstbestimmung und Selbstachtung verliert, zeigt Popp als faszinierendes Psychodrama. Wie fremde Mächte sein Leben dominieren und er nach einem faustischen Pakt zum Spielball von Erpressern wird, ist bei Popp ein brillant inszenierter Psycho-Thriller.
Nicht nur eine spannende, sondern auch eine höchst vergnügliche Lektüre. Denn all das intoniert Popp mit gewohnter Virtuosität auf einer literarischen Klaviatur, die als comic relief auch gekonnt heitere Töne anschlägt.
* Jacky Dreksler, TV-Produzent und Buchautor (Ich wünsche dir ein glückliches Leben/ Das Leid meiner Mutter und ihr Geschenk an mich, DuMont Buchverlag, 2016
Rezension zum Roman von Rainer Popp „Nach Feuer schmeckt die Nacht“
Es passiert einiges im Roman über den Politiker, der aus einfachen Verhältnissen in ein Regierungsamt aufsteigt. Und das, was passiert, schildert Rainer Popp mit drastischen, üppigen Bildern, nimmt den Leser zwingend ins Geschehen und sorgt für nachhaltige Phantasien. Wenn die Ähnlichkeit mit einer lebenden Politikerfigur als zufällig versprochen wird, so stellen sich schon zu Beginn Zweifel ein. Details der Wirklichkeit schlüpfen unter das Dach der Fiktion, und man fragt sich: In welchen Schweberaum von Fake und Reality entführt uns der Erzähler? Welcher Erzähler? Er steht der Figur Marc Nenndorf gegenüber, sitzt ihr aber auch im Nacken, schleicht sich in seine Psyche hinein ganz zu Beginn und lässt die Leserin wissen, dass der Typ, der so erfolgreich ist, vor Angst innerlich schlottert. Man wird auf eine Fährte gelockt mit Vorausdeutungen und fragt sich: was muss passieren, damit dieser nach oben katapultierte Karrierist zu Fall kommt? Doch die Auflösung dauert. Wir werden zurückgeworfen in den Anfang seiner Karriere in Ereignisse, die „passieren“. Oder, wie es seine 4. Ehefrau in einem Trennungsgespräch formuliert: „Du bist passiert. Es ist mit dir passiert.“ Man kann es fast so empfinden, dass sein Leben die Ereignisse passierend streift, denn nichts kann Marc Nenndorf wirklich ergreifen. Außer seinem Ego. Er will durch. Irgendwie. Raus aus der Sponti-Szene autonomer Gewaltbesetzer. Er will Macht. Alte Gefährten zieht er mit nach oben, andere stürzen ab. Werden sie ihm schaden?
So führt uns der versierte Autor Rainer Popp hinters Licht seiner zentralen Figur, diesem zwielichtigen Politiker, diesem intelligenten Zyniker und Schwätzer. Wir blicken in sein dürftiges Innenleben. Die Hauptfigur distanziert sich von ihrem Milieu: „Er liebte es (…) in den Gesprächen auszuprobieren, ob er sich mit seiner neu erworbenen Bildung bereits sehen lassen konnte.“ Und: „Er hielt sich für einen Mann des arbeitenden Volkes und für einen politischen Intellektuellen“. Kann dieser Spagat gelingen?
Irgendwelche Mächte scheinen im Hintergrund Strippen zu ziehen. Geheimnisvolle Anrufe deuten auf eine Schlinge, die sich zuziehen wird. In einer Pendelbewegung von Erfolg und Niederlage, politischem Höhenflug und privatem Scheitern, mit einem janusköpfigen Verwirrspiel gelingt der Aufstieg.
Ein Markenzeichen des Romans ist die Vermischung von Realität und Fiktion. Das Attentat auf den hessischen Minister Karry hat es gegeben. Sind alle Reden der Hauptfigur so gehalten worden? Schlingernd verläuft die Trennlinie zwischen recherchierter Sachlichkeit und Polit-Thriller. Ruhigere Passagen gönnen dem Leser Atempausen.
Die komplementären Spannungsstränge werden im mitternächtlich klingelnden Handy zusammengeführt. Andeutungen, Auslassungen als Spannungselement. Am Beginn die Angst, am Schluss die Fügung „Jawohl…“
Rainer Popp gehört nicht zu den Gegenwartsautoren, deren Schreibweise spärlich, gar minimalistisch ist. Er bevorzugt hypotaktische Satzkonstruktionen, stark bildhafte Vergleiche, liebt die Wiederaufnahme des Artikels als Relativpronomen („Reden, das können wir nachher noch…“, „das Büro, das wird sich freuen“), bildet lange Anaphern, feilt retardierend wirkende Dialoge.
Man bleibt dran an dieser Story und fragt sich: Kann das wirklich so gewesen sein? Vermutlich ja.
Theodor Cramer, Bonn. Der Verfasser hat Germanistik und ev. Theologie studiert, war neben und nach seiner Lehrtätigkeit Regisseur und Autor, später Juror für Prosaliteratur und Theater, Literaturvorträge in der Erwachsenenbildung.
Eine Rezension von Horst Wagner
Eine schockierende Zustandsbeschreibung
Rainer Popp: Deutschland zum TÜV - Neun Wege aus der Krise
Argon Verlag, Berlin 1998, 252 S.
Man hat von den hier aufbereiteten Skandalen und Skandälchen schon irgendwann gehört oder gelesen. Die schockierenden Zahlen über das Anwachsen von Reichtum auf der einen, Armut auf der anderen Seite, über das Zusammenspiel von hochschnellenden Aktienkursen und steigender Arbeitslosigkeit sind einem aus anderen sozialkritischen Publikationen, auch aus jüngsten Reden Gregor Gysis, mehr oder weniger bekannt. Auch die Fakten über Korruption, Bildungsnot- und andere Übelstände sind nicht unbedingt neu. Was einem Rainer Popps Buch gleichsam unter die Haut gehen läßt, ist die Komprimierung der Anklage und die Schärfe der Formulierungen. Die Originalität der Sprache und die Anschaulichkeit der Vergleiche machen es zu einer geradezu packenden Lektüre. Es ist ein radikaler und - wie es scheint - sehr linker TÜV, dem die heutige Bundesrepublik hier unterzogen wird. Dabei stammt der Autor eher aus dem Establishment. Er war Chefredakteur bei RTL Radio und Fernsehen sowie Programmdirektor von Radio Luxemburg. Seinen kritischen Blick und seinen Hang zur Zuspitzung hat er freilich auch schon als Produzent der satirisch-politischen Puppenshow „Hurra Deutschland“ bewiesen. In zwölf Kapiteln nimmt Rainer Popp den „Müll auf der Mattscheibe“ des Fernsehens ebenso unter die Lupe wie den „Wahn der Werbung“, das „Begräbnis der Bildung“ wie den „Würgegriff des Wettbewerbes“. Von der „Perfidie der Politiker“ ist die Rede, von „Kriminellen und Korrupten“ und vom „Abstieg aus der A-Klasse“. „Die Greueltaten der Globalisierung“ werden ebenso behandelt wie „Die Ohnmacht im Osten“, „Die Kriege der Konzerne“ wie „Die Macht der Manager“ und „Der Geifer des Geldes“. Popp bleibt durchaus nicht an der Oberfläche stehen, bei bloßer Zustandsbeschreibung, sondern versteht tiefer zu loten. Wie eine schockierende Mischung aus Orwells „1984“ und „Kommunistischem Manifest“ liest sich, was Popp über die „Dinosaurier des Geldes“ schreibt, jene Multis, welche „erstmals in der Geschichte“ die reale Macht haben, „die Erde als integrierte Einheit in den Griff zu bekommen“; deren Entscheidungen „von größerer Tragweite sind als die von gewählten Regierungen, wenn es darum geht, wo und wie die Menschen wohnen, was sie essen, ob sie überhaupt essen dürfen, was sie trinken, welche Kleidung sie tragen, ob sie Arbeit finden...“ (S. 194) Besorgt fragt Popp in diesem Zusammenhang: „Wird es in Zukunft eine Auferstehung des internationalen Klassenkampfes geben, bei dem sich die Werktätigen dieser Welt gegen die Multis dieser Welt erheben?“ (S.197)
Was nun verlangt der Autor bei seinem TÜV? Reparatur oder Neuaufbau? Popps Schlußfolgerungen erscheinen mir längst nicht so klar wie seine Analyse. Empfohlen werden von ihm z. B. einerseits japanische Freundlichkeit und Dienstfertigkeit, andererseits das Beispiel der USA, wo sich „die Spitze der Politik an die Spitze der Bewegung gesetzt“ hat, „die in die Zukunft marschiert mit Computern, mit dem Internet, mit der Genforschung und der Biotechnik“. (S.160) Als entscheidende Hebel sieht er an, das Primat der Politik gegenüber dem „Moloch Kapital“ zu stärken und die Allmacht der Monopole durch die Wählbarkeit der Manager gleichsam zu humanisieren. Wie beides funktionieren soll, angesichts der so drastisch geschilderten realen Verhältnisse, bleibt unklar. Überhaupt bleiben die im Abschlußkapitel zusammengefaßten „Neun Wege aus der Krise“ vielfach in moralischen Appellen stecken, die sicher gut gemeint sind, aber zu einem großen Teil illusionär erscheinen müssen. Wie soll denn, angesichts der von Popp deutlich gemachten wachsenden Differenzierung und Entsolidarisierung der Gesellschaft, das von ihm erhoffte große, weltweite kollektive „Wir“ als „revolutionäre Bürger-APO der Jahrtausendwende“ zustande kommen? Auch wenn solche Fragen offen bleiben - ein lesenswertes, zum Nach- und Weiterdenken zwingendes Buch ist Rainer Popps Studie allemal.
© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de